Martin Luther King Jr.: “Where Do We Go From Here”

In seinem letzten Buch “Where Do We Go From Here: Chaos or Community?” (1967) und in Vorträgen aus der gleichen Zeit forderte Martin Luther King Jr. mit der ihm eigenen visionären Rhetorik ein “garantiertes Grundeinkommen”, das angesichts des Mangels an Erwerbsarbeit ein Leben in Würde auch ohne Erwerbsarbeit ermöglicht. Mit analytisch klarem Blick erkannte er schon damals die enormen Entwicklungspotentiale, die von einem Grundeinkommen zu erwarten sind, das durch die bedingungslose ökonomische Existenzsicherung weitreichende Handlungsmöglichkeiten, die bislang privilegierten Kreisen vorbehalten waren, auch den Armen eröffnet:

Aus der Rede am 16. August 1967 beim 11. Jahrestreffen der Southern Christian Leadership Conference in Atlanta, Georgia (“part 5” der Youtube-Videofolge):

Deutsche Übersetzung derjenigen Passage in dieser Rede mit Bezug zum Grundeinkommen (von Manuel Franzmann):

„Dies hat schwarze Amerikaner in der Vergangenheit dazu gebracht, ihre Ziele mit Liebe und moralischen Appellen aber ohne Macht zu verfolgen, und weiße Amerikaner, nach ihren Zielen mit Macht aber ohne Liebe und Gewissen zu streben. Das veranlasst heute ein paar Extremisten dazu, für Schwarze die gleiche zerstörerische und gewissenlose Macht zu befürworten, die sie mit Recht bei Weißen verabscheuten. Es ist genau dieses Zusammentreffen von unmoralischer Macht und ohnmächtiger Moral, die die Hauptkrise unserer Zeit ausmacht. (Ja)

Wir müssen uns jetzt um Fortschritte bemühen, oder genauer gesagt, ein Programm entwickeln – ich kann darauf nicht ausführlich eingehen – , dass die Nation auf den Weg zu einem garantierten Jahreseinkommen bringt. Noch zu Beginn des Jahrhunderts wäre dieser Vorschlag als lächerlich empfunden worden und mit der Schmähung versehen worden, er sei im Hinblick Eigeninitiative und Verantwortungsbewusstsein zerstörerisch. Damals wurde der wirtschaftliche Status als Ausdruck der Fähigkeiten und Talente eines Individuums betrachtet. Und im Denken dieser Zeit deutete die Abwesenheit weltlicher Güter auf einen Mangel an Fleiß und Moral hin. Wir haben in unserem Verständnis menschlicher Motivation und des blinden Funktionierens unseres Wirtschaftssystems einen weiten Weg zurückgelegt. Wir erkennen nun, dass Verheerungen der marktwirtschaftlichen Dynamik und die vorherrschende Diskriminierung die Menschen zum Müßiggang zwingt und diese gegen ihren Willen in ständiger oder häufiger Arbeitslosigkeit hält. Die Armen werden heute weniger häufig, so hoffe ich, von unserem Gewissen ferngehalten, indem wir sie als minderwertig und unfähig brandmarken. Wir wissen auch, dass, egal wie dynamisch sich die Wirtschaft entwickelt und erweitert, dies nicht alle Armut beseitigt.

Dies zeigt, dass wir unser Augenmerk auf zweierlei richten müssen: Wir müssen Vollbeschäftigung schaffen oder wir müssen Einkommen schaffen. Die Menschen müssen zu „Konsumenten“ werden, durch die eine oder die andere Methode. Sobald sie sich in dieser Position befinden, müssen wir darauf achten, dass das Potenzial jedes Einzelnen nicht verschwendet wird. Neue Formen der Arbeit, die das Gemeinwohl stärken, müssen für diejenigen gefunden werden, für die keine traditionellen Arbeitsplätze verfügbar sind. Im Jahre 1879 sah dies Henry George voraus, wenn er in „Progress and Poverty“ schrieb:

„Tatsache ist, dass die Arbeit, die die Lebensbedingungen der Menschheit verbessert, die Arbeit, die das Wissen vermehrt und Handlungsmöglichkeiten erweitert, die Literatur bereichert und das Denken kultiviert, nicht getan wird, um den Lebensunterhalt zu sichern. Diese Arbeit ist keine Arbeit von Sklaven, die sich einer Aufgabe stellen, weil sie dazu durch die Peitschenhiebe eines Masters oder die blanke Not getrieben werden. Sie ist das Werk von Menschen, die auf die ein oder andere Weise eine Arbeit entwickeln, die um ihrer selbst willen mit Sicherheit einhergeht und einen gesellschaftlichen Zustand hervorbringt, in dem Armut und Not abgeschafft sind.“ (Henry George, 1879)

Arbeit dieser Art könnte enorm gesteigert werden, und wir werden wahrscheinlich feststellen, dass die Lösung von Wohnungsproblemen, Bildungsproblemen, statt der Beseitigung der Armut vorauszugehen, ihrerseits befördert wird, wenn zuerst die Armut beseitigt wird. Die Armen, in Käufer verwandelt, werden viel aus eigenem Antrieb tun, um ihre schlechten Wohnverhältnisse zu ändern. Schwarze, die unter einer doppelten Beeinträchtigung leiden, haben eine größere Wirkung auf Diskriminierung, wenn sie Bargeld als zusätzliche Waffe in ihrem Kampf nutzen können. 

Über diese Vorteile hinaus wird unweigerlich eine Vielzahl von positiven psychologischen Veränderungen aus der allgemeinen ökonomischen Sicherheit resultieren. Die Würde des Menschen wird gedeihen, wenn er die Entscheidungen über sein Leben in seinen eigenen Händen hat, wenn er über die Gewissheit verfügt, dass sein Einkommen stabil und sicher ist, wenn er weiß, dass er die Mittel hat, seine persönliche Weiterentwicklung zu verfolgen. Persönliche Konflikte zwischen Eheleuten und ihren Kinder werden sich vermindern, wenn die ungerechte Bemessung des Wertes eines Menschen auf einer Skala von Dollars beseitigt ist.

Heute kann unser Land dies erreichen. John Kenneth Galbraith sagte, dass ein garantiertes Jahreseinkommen für ungefähr zwanzig Milliarden Dollar pro Jahr zu haben wäre. Und ich sage Ihnen, dass wir, wenn unser Gemeinwesen fünfunddreißig Milliarden Dollar im Jahr für einer ungerechten, bösen Krieg in Vietnam aufbringen kann, und zwanzig Milliarden Dollar, um einen Mann auf den Mond zu bringen, Milliarden von Dollar dafür ausgeben können, um Gottes Kinder direkt hier auf Erden auf ihre eigenen Füßen zu stellen. [Applaus]“

Transkript der Rede
Exzerpt aus dem Buch „Where Do We Go From Here: Chaos or Community?” (1967)
Deutsche Übersetzung dieses Exzerpts

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