Nach dem der erste Zwischenbericht der Projektverantwortlichen der Grundeinkommenspilotstudie in Namibia veröffentlicht wurde (Anfang Oktober 2008), geht der Streit zwischen Befürwortern und Kritikern des bedingungslosen Grundeinkommens in Namibia in die nächste Runde.
So fordert die Namibian Economic Policy Research Unit (NEPRU) in der jüngsten Ausgabe ihres Quartely Economic Review (Nr. 66 September 2008) eine unabhängige Evaluation der Ergebnisse des Pilotprojekts, die von den Projektverantwortlichen als großer Erfolg dargestellt werden. Die BIG-Coalition, die das Projekt trägt, verteidigt sich und kündigt eine Stellungnahme zur Kritik der NEPRU an (AZ vom 27.10.2008).
Ein unter methodischen Gesichtspunkten interessanter Punkt der Kritik der NEPRU ist folgender. Diese schreibt in dem erwähnten Review:
„Furthermore, some of the changes that occurred can also be explained by other factors than the mere transfer of money: the people were educated before the introduction of the grant system about using the additional money and they have appointed ‘control officers’ to guide them in their spending behaviour. This could also explain the change in school attendance, malnourishment and crime. If this proves to be true, it underlines the importance of education in behavioural changes“
Dieses Argument verweist auf ein grundsätzliches methodisches Problem der Auswertung der Ergebnisse der Pilotstudie. Eine Pilotstudie, in deren Rahmen in einem Dorf für zwei Jahre probeweise ein bedingungsloses Grundeinkommen ausgezahlt wird, ist natürlich nicht das gleiche, wie die dauerhafte Einführung eines solchen Grundeinkommens landesweit. Daher kann der Wert einer solchen Studie nicht darin liegen, eine für sich selbst sprechende Evidenz zu liefern nach der Devise „Seht, es funktioniert“. Trotz der großen Nähe zur Situation, die durch eine reguläre Einführung des Grundeinkommens hergestellt würde, bleibt doch ein nicht unerheblicher Interpretationsbedarf bestehen. Und in diese Kerbe schlägt nun die NEPRU. So wissen die Dorfbewohner, dass von den Ergebnissen dieser Pilotstudie der weitere Erfolg des Reformprojekts „Grundeinkommen“ in Namibia ganz wesentlich mit abhängt, was selbstverständlich einen Einfluss darauf hat, was in dem Dorf Otjivero seit Beginn der Studie abläuft. Die Berliner TAZ berichtet in einem Artikel, dass die Dorfbewohner von sich aus ein Dorf-Komitee gegründet hätten, das Einfluss auf die Mitbewohner zu nehmen versucht, damit die Pilotstudie ein Erfolg wird:
„Das Komitee half mit, bei der ersten Geldausgabe Ordnung zu schaffen: Sonst wären viele der Wartenden wohl zertrampelt worden bei dem Ansturm auf die Kasse. Inzwischen weiß jeder, dass genug Geld für alle da ist. Das zweite Problem ist delikater: die richtige Verwendung. ‚Wir wollen nicht, dass alle ihr Geld gleich am Ausgabetag versaufen.‘ Genau das nämlich werfen die Kritiker dem Projekt vor: den Untätigen werde Geld in den Rachen geworfen. Anstatt Arbeit zu belohnen, werde Untätigkeit finanziert. Und tatsächlich feierten die 13 Kaschemmen, Shebeens heißen sie hier, am Abend des ersten Ausgabetags das Geschäft ihres Lebens. Wegen Alkoholismus und ‚ungebührlichen Verhaltens‘ nahm die Polizei ein paar Bewohner mit in die Ausnüchterungszelle. Andere trugen ein paar Tage später stolz ein neues Handy oder anderes Konsumgut zur Schau. ‚Aber spätestens wenn einer den Nachbarn um einen Kredit angehauen hat, kam die Antwort: wieso, du hast doch auch deine 100 Dollar bekommen‘, so Eigowab. Am Zahltag Nummer zwo sei es entsprechend ziviler zugegangen. Das lag vielleicht auch daran, dass Eigowab und sein Komitee nicht müde wurden, an den Tagen davor warnend von Haus zu Haus zu ziehen: verschwendet nicht euer Geld.“ (TAZ vom 30.10.2008)
Nun scheinen diese Aktivitäten auch dem Umstand geschuldet zu sein, dass einige Dorfbewohner das Pilotprojekt mit zum Erfolg führen wollen, und bei einer dauerhaften Einführung des Grundeinkommens im ganzen Land würde sich die Herausgehobenheit des Dorfes und der Probecharakter verlieren. Es bestünde dann allerdings das Motiv, dauerhaft mit dem Grundeinkommen verantwortlich umzugehen. Denn natürlich gälte dann, dass die dauerhafte Einführung des Grundeinkommens landesweit nur dann nicht revidiert werden müsste, wenn verantwortlich mit dem Geld umgegangen wird und keine massenhafte Verwahrlosung die Folge ist. So betrachtet sind die disziplinierenden Effekte, welche die Pilotstudie offensichtlich entfaltet, nicht exklusiv dem Pilotcharakter zuzuschreiben, sondern vielmehr ist auch bei einer regulären Einführung mit vergleichbaren Effekten zu rechnen. Der Bericht der TAZ ist auch darin aufschlussreich, dass die Einwirkung auf die Dorfbewohner offensichtlich vor allem auch auf eigene Initiative von einigen Dorfbewohnern erfolgt und nicht im Auftrag der Projektverantwortlichen. Das ließe sich eigentlich viel wohlwollender als Zeichen einer Fähigkeit zum verantwortlichen Umgang mit dem Grundeinkommen im Dorf verstehen, als es die NEPRU-Autoren tun. Denn diese Einwirkung scheint ja keine „Erziehungstätigkeit“ im Sinne eines bevormundenden Einwirkens von Außen zu sein, wie es offenbar die NEPRU-Autoren vor Augen haben. Sie scheint vielmehr Bestandteil einer autonomen Dynamik innerhalb der Dorfgemeinschaft zu sein.
Ergänzungen: