Der sozialdemokratische Paternalismus einer planwirtschaftlichen Versorgung der Menschen mit Erwerbsarbeit

In der Fernsehsendung „Wahlarena“ des WDR vom 2.05.2012 äußerte sich der Spitzenkandidat der nordrhein-westfälischen Piratenpartei, Joachim Paul, in bemerkenswert ausführlicher und konturierter Weise zu den Inhalten seiner Partei und dabei auch zum Offenbacher Parteitagsbeschluss der Piraten zum bedingungslosen Grundeinkommen. Die ebenfalls anwesenden Spitzenkandidaten der konkurrierenden Parteien ließen es sich nicht nehmen, darauf zu erwidern, allen voran die heute überall für ihre menschenzugewandte Art gelobte Wahlsiegerin Hannelore Kraft. Ihre Erwiderung ist bezeichnend für einen schon seit Langem latent vorhandenen sozialdemokratischen Paternalismus, der sich auf die Teilhabe an der Erwerbsarbeit richtet, sich in fürsorglicher Zugewandtheit übt, aber dabei eben im Hintergrund, wie das bei einem paternalistischen Denken nun mal so ist, autoritäre und bevormundende Züge aufweist. Das zeigt sich auch wieder in den folgenden Worten von Hannelore Kraft, die auf die Aussage von Joachim Paul Bezug nimmt, dass ein Grundeinkommen durchaus auch als ein „Nullsummenspiel“ finanzierbar sei:

Hannelore Krafts Erwiderung ab Minute 6:40: 

„Darf ich da vielleicht kurz was zu sagen, weil das ist mir schon wichtig. Entgegen dem, was sie annehmen, haben wir uns in unserer Partei sehr intensiv [Spitzenkandidaten der Grünen, Löhrmann: „Wir auch!“] mit dem bedingungslosen Grundeinkommen auseinandergesetzt. Und wir haben uns dagegen gewandt, und zwar aus einem Grund heraus, den ich nachvollziehbar finde. Das Nullsummenspiel, von dem sie sprechen, das tritt ja nur dann ein, wenn viele Menschen nicht mehr arbeiten, d. h. der Staat Kosten spart. Im Prinzip bräuchten sie für viele Bereiche überhaupt keine Verwaltung mehr. Sie brauchen ja nur noch eine Summe auszuzahlen an jeden. Und das wiederum führt zu der Annahme, dass viel weniger Leute Arbeit hätten am Ende des Tages. Und da stell ich mir die Frage, weil ich weiß aus vielen Begegnungen, wie wichtig es für die Würde des Menschen ist, dass er Arbeit hat, dass er einen geregelten Tagesablauf hat, dass er dort auch soziale Kontakte hat. Ich halte dieses Konzept für kein Konzept, was mit der Würde des Menschen vereinbar ist. Da haben wir vielleicht ein unterschiedliches Menschenbild.“

Bemerkenswert ist vor allem Krafts einleitendes Argument „Das Nullsummenspiel (…) tritt (.) nur dann ein, wenn viele Menschen nicht mehr arbeiten, d. h. der Staat Kosten spart“. Die in diesem Konditionalsatz enthaltene Bedingung lautet in Langschrift „wenn viele Menschen nicht mehr arbeiten, die eben gegenwärtig noch arbeiten und dem Staat darin etwas kosten“. D. h. das Argument baut auf der eigentümlichen und sehr bezeichnenden Annahme auf, dass arbeitende – nicht arbeitslose! – Menschen dem Staat etwas kosten, zumindest ein erheblicher Teil von ihnen. Man reibt sich die Augen! Normalerweise sollte ja Erwerbsarbeit, um die es hier der Sache nach gehen muss, dem Erwerbstätigen ein Einkommen bescheren, von dem dieser wiederum einen Teil in Gestalt von Steuern an den Staat abführt, sodass der Staat dadurch etwas einnimmt und gerade nichts ausgeben muss. Wenn aber arbeitende Menschen im Gegensatz zu diesem Normalfall den Staat massenhaft etwas kosten, was er dann bei einem bedingungslosen Grundeinkommen sparen kann, dann verweist das auf die Kultur eines erwerbsfürsorglichen Paternalismus, der vielen Menschen nur noch durch staatliche Subventionszahlungen direkter oder indirekter Art planwirtschaftlich Erwerbsarbeit verschaffen kann, weil sie der Arbeitsmarkt naturwüchsig vor dem Hintergrund des globalen Wettbewerbs oder auch der Produktivitätsentwicklung, des technischen Fortschritts und der Rationalisierungsdynamik nicht mehr hergibt.

Nun bildet die Vorstellung, dass „Arbeit“ für die Menschenwürde unverzichtbar ist, offenkundig den normativen Kern der sozialdemokratischen Position zum Grundeinkommen. Im Hinblick auf diese „Arbeit“ wird von Kraft menschelnd angeführt „ich weiß aus vielen Begegnungen, wie wichtig es für die Würde des Menschen ist, dass er Arbeit hat, dass er einen geregelten Tagesablauf hat, dass er dort auch soziale Kontakte hat“. Das gilt aber für andere Formen von Arbeit grundsätzlich ebenso, z. B. für ehrenamtlich erbrachte Arbeit. Joachim Paul weist darauf in seinem nachfolgenden Wortbeitrag auch hin, aber das geht bei Kraft in das eine Ohr rein und aus dem anderen raus, so wie fast immer, wenn sich traditionell denkende Sozialdemokraten zu dem Thema äußern, mit dem sie sich angeblich „sehr intensiv“ auseinandergesetzt haben. Die Unterscheidung zwischen „Arbeit“ und „Erwerbsarbeit“ ist ein zentraler Punkt in der Grundeinkommensdebatte, und wer diese Unterscheidung nicht beachtet, kann schwerlich von sich sagen, er habe sich mit dieser Debatte ernsthaft auseinandergesetzt.

Warum aber konzentriert sich die Sozialdemokratie so eisern auf die Erwerbsarbeit und kaschiert dies zugleich in der vernebelnd allgemeinen Rede von „Arbeit“? Weil sie mit ihrem erwerbsfürsorglichen Paternalismus letzten Endes das gleiche Misstrauen in die Autonomie der Bürger setzt, wie auch die „neoliberale“ Kapitalseite. Sie kann es sich nicht vorstellen, dass Menschen sich mit einem Grundeinkommen von sich aus, d. h. ohne „Aktivierung“, in die Gesellschaft durch sinnvolles Tätigsein in welcher Form auch immer „integrieren“ und teilhaben. Erwerbsarbeit dient also letztlich als ein disziplinarischer Hebel, um auf bevormunde Art sicherzustellen, dass dies auch wirklich geschieht. Es ist erstaunlich und auf eine perverse Art auch gekonnt, wie sehr es Hannelore Kraft derzeit gelingt, diesen Paternalismus hinter ihrer menschelnd-zugewandten Art zu verstecken, wobei ihr allerdings die Möglichkeiten der Positionierung vor dem Hintergrund der zu bewältigenden Folgen der Finanzkrise erheblich entgegenkommen.

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