Auf der Internetseite des Pilotprojekts Grundeinkommen wird über den Projektaufbau der Pilotstudie zum bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) unter der wissenschaftlichen Leitung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW in Berlin informiert. Auch dort findet sich ein ausgeprägter Hang zum brachialen Selbstmarketing, wie er schon die Ankündigung der Pilotstudie durch den wissenschaftlichen Studienleiter Prof. Dr. Jürgen Schupp kennzeichnete. Siehe dazu den hier veröffentlichen Artikel „Verdinglichter Zahlenpositivismus und brachiales Selbstmarketing. Zu einer problematischen Seite der begrüßenswerten DIW-Studie zum bedingungslosen Grundeinkommen“.
Besonders anschaulich wird dies an der dort dargebotenen Übersicht „Pilotprojekte weltweit im Vergleich“:
Die Logik dieser tabellarischen Vergleichsübersicht verweist schon als solche auf die Praxis des Produktmarketings, das solche Übersichten besonders auf Internetseiten gerne dazu verwendet, die Vorzüge des eigenen Produkts gegenüber Vergleichsprodukten der Konkurrenz anschaulich in Szene zu setzen. Eine solche Vergleichsübersicht ist zwar nicht zwingend unsachlich und in ihrem Aussagegehalt verzerrend-manipulativ. Es gibt ohne Frage Fälle, in denen sie auf sachlich angemessene Weise zentrale Produktmerkmale vergleichend zur Darstellung bringt. Häufig aber findet mit ihrer Hilfe eine schönende Darstellung des eigenen Produkts statt, zum Beispiel dadurch, dass vorwiegend solche Merkmale in die tabellarische Darstellung selektiv aufgenommen werden, die das eigene Produkt im Vergleich besonders gut aussehen lassen. Auch die Beschränkung der Auswahl von Konkurrenzprodukten auf solche, die im Vergleich schlechter als das eigene Produkt in den dargestellten Produktmerkmalen abschneiden, wird gerne zu Zwecken der Manipulation genutzt.
Tabellarische Vergleichsübersichten sind also nicht zwingend unsachlich-verzerrend, aber es ist auch alles andere als ein Zufall, dass sie so oft auf manipulative Weise zum Zwecke des Produktmarketings eingesetzt werden, denn sie vereinfachen durch die anschauliche, tabellarische Darstellungsform den Vergleich sehr erheblich und bieten vor diesem Hintergrund sehr gute Möglichkeiten für eine geschönte Darstellung. Dies gilt insbesondere für komplexere Gegenstände, für die ein solcher simplifizierender tabellarischer Vergleich von vorneherein als fragwürdig erscheint. Das ist auch im vorliegenden Fall so.
Dieser Eindruck wird genährt, wenn man sieht, dass ausgerechnet die eigene Pilotstudie als einzige im Vergleich alle in der Tabelle genannten „Gütekriterien“ erfüllt und somit als das derzeitige Non-Plus-Ultra der weltweiten Grundeinkommensforschung erscheint.
Der Eindruck bestätigt sich dann noch sehr viel mehr, wenn man die Übersicht inhaltlich näher betrachtet. So wurden zum Beispiel nachteilige Vergleichsmerkmale, wie die sehr geringe Größe des DIW-Pilotprojekts (120 BGE-Empfänger*innen, andere Projekte umfassen teilweise mehrere Tausend) oder auch die eher kurze Laufzeit von drei Jahren (bei anderen Projekten teilweise bis zu 12 Jahren) ausgeklammert. Wichtige Pilotstudien, wie zum Beispiel die größte und wissenschaftlich versierteste Studie aus der Serie von Studien in den 1970er-Jahren in den USA in Seattle und Denver (>SIME/DIME) finden aus unersichtlichen Gründen keine Erwähnung. Diese Pilotprojekte testeten, wie auch das in der Tabelle erwähnte Dauphin-Projekt , eine Negative Einkommensteuer, das mit der Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens verwandt ist, denn auch bei ihm wird bedingungslos sichergestellt, dass alle Bürger*innen nicht weniger als das definierte Basiseinkommen zur Verfügung haben, ohne dies vom Verhalten der Empfänger*innen abhängig zu machen. Auf durchaus bedeutsame Unterschiede zu einem echten bedingungslosen Grundeinkommen gehe ich hier nicht näher ein, weil sie offensichtlich auch bei der Zusammenstellung der tabellarischen Übersicht keine Rolle spielten, wie die (sicherlich angemessene) Einbeziehung des Dauphin-Projekts zeigt. Allerdings ist das Dauphin-Projek lediglich eine kleinere Teilstudie des MINCOME genannten Projekts im kanadischen Bundesstaat Manitoba zur Negativen Einkommensteuer. Es bleibt unklar, warum speziell dieses Teilprojekt und nicht die gesamte MINCOME-Studie ausgewählt wurde, womöglich, weil es in den Medien als Kommunenprojekt besondere Aufmerksamkeit fand.
Fragwürdig erscheint auch die Ausgestaltung der Spalte „zugänglich für alle BürgerInnen“. Hier gibt sich das Pilotprojekt Grundeinkommen ein grünes Häkchen, obwohl zum Projektstart nur für 120 Personen die nötigen Finanzmittel zur Verfügung standen. Hier interpretiert man offensichtlich den Umstand, dass sich im Prinzip alle Bürger*innen in Deutschland zur Teilnahme an der Studie melden konnten, von denen dann aber nur 120 Personen von der Projektleitung nach deren eigenen statistischen Kriterien ausgewählt werden, großzügig so, als stünde allen Bürger*innen in Deutschland tatsächlich der Zugang zum BGE im Rahmen des Pilotprojekts offen. Das ist mehr als nur eine großzügige Auslegung zu eigenen Gunsten. Umgekehrt wird dem Dauphin-Projekt ein grünes Häkchen verweigert, obwohl bei diesem Projekt allen Bürger*innen der kleineren kanadischen Gemeinde Dauphin (derzeit: ca. 8200 Einwohner) die tatsächliche Teilnahme bei dem MINCOME-Projekt offenstand . Unklar bleibt, warum auch das Projekt von givedirectly in Kenia kein grünes Häkchen gewährt bekommt, wo ebenfalls ganzen Dörfern die BGE-Zahlung angeboten wird.
Fragen werfen auch die anderen Spalten auf. Wie gelangte man zu den Angaben unter „existenzsichernde Höhe“? Oder: Ist es nicht weit übertrieben, die unter der Überschrift „Studie 3“ erwähnte BGE-Auszahlung mit simulierter Besteuerung in der Tabelle als Testung eines „Finanzierungskonzepts“ zu bezeichnen? Ein Finanzierungskonzept hätte sicherlich sehr viel komplexer auszusehen, als es ein simpler, einfacher Steuersatz suggeriert. Übrigens war die unerwähnte Großstudie in Seattle und Denver in den 1970er-Jahren in den USA weitaus differenzierter, was die Testung variierender Steuersätze und anderes mehr anbelangt.
Sehr sicher scheinen sich die Verantwortlichen des Pilotprojekts zu sein, dass die zivilgesellschaftliche Trägerschaft der Studie ausschließlich als Vorteil zu werten ist und insbesondere „Unabhängigkeit“ verbürgt, wie die Spalte „zivilgesellschaftlich und unabhängig“ dokumentiert. Unabhängig von wem, so wäre zu fragen. Schon die Tatsache, dass hier nicht die gesamte Zivilgesellschaft als Träger fungiert, sondern mit dem Verein „Mein Grundeinkommen“ doch eine sehr spezifische zivilgesellschaftliche Organisation, die gegenüber dem Grundeinkommen keineswegs neutral erscheint, lässt hier Zweifel aufkommen. Besonders aber auch das diagnostizierte brachiale Selbstmarketing zulasten der wissenschaftlichen Seriosität nährt diese Zweifel und den Eindruck, dass die Wissenschaft hier öffentlichkeitswirksam durch einen politischen Aktivismus in Dienst zu nehmen versucht wird. Diesbezüglich schneiden die staatlich finanzierten Pilotstudien bisher eindeutig sehr viel besser ab. Ein derart brachiales Selbstmarketing findet man dort kaum.
Richtig ist allerdings, dass die staatlich finanzierten Pilotprojekte oft einer im Hintergrund stehenden politischen Agenda verpflichtet bleiben, die den Fokus der jeweiligen wissenschaftlichen Studie deutlich einschränkt. In den Pilotprojekten der 1970er-Jahre, später auch in Finnland oder in Ontario, Kanada, interessierte sich die Politik für ganz bestimmte Aspekte und Fragen, die dann von den staatlich finanzierten Wissenschaftsinstitutionen im Großen und Ganzen unter Wahrung der wissenschaftlichen Seriosität empirisch zu beantworten versucht worden sind.
Von einer politischen Agenda ganz unabhängig wäre vor allem eine von vornherein autonome Forschung der Wissenschaftsinstitutionen selbst, finanziert über die Mittel des Wissenschaftssystems, zum Beispiel über die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Eine solche Forschung wäre auch eindeutig im Vorteil gegenüber dem Modell einer zivilgesellschaftlichen Auftragsforschung, wie sie im DIW-Projekt praktiziert wird. Dort gerät die Forschung offensichtlich in den Sog eines (zivilgesellschaftlich sehr spezifischen) politischen Aktivismus, dessen Weltverbesserungsstreben es für legitim erachtet, angesichts der gemeinwohlbezogenen Zielsetzungen ein brachiales Selbstmarketing auf Kosten der wissenschaftlichen Seriosität zu betreiben. Jedoch widerspricht dies eben der selbst vertretenen Programmatik, dass man es wirklich wissen will und Antworten von einer tatsächlich unabhängigen Wissenschaft haben möchte.
Dennoch muss man die DIW-Studie angesichts des andauernden Interesses an der Idee eines BGEs grundsätzlich begrüßen. Sie kann in Deutschland sicherlich zum Auftakt einer stärkeren wissenschaftlichen Auseinandersetzung werden, gerade mit ihren zu konstatierenden Beschränkungen der wissenschaftlichen Seriosität. Denn diese provozieren auf kurz oder lang sicherlich ein stärkeres Engagement der tatsächlich unabhängigen, autonomen Forschung durch die Wissenschaftsinstitutionen selbst, auf die es letztlich ankommt. Wenn es so weit ist, sind wir im Vergleich zu heute einen riesigen Schritt weiter.
Erwähnte Literatur:
Veröffentlichungen mit thematischem Bezug zum bedingungslosen Grundeinkommen: