Wachsendes Interesse der Kommunalpolitik am bedingungslosen Grundeinkommen – ein neuerer Trend in den USA und Großbritannien

Geht die Grundeinkommensidee auf kommunaler Ebene viral?

Grundeinkommensexperimente, die von kommunaler Seite aus initiiert und durchgeführt werden, hat es auf der Welt in den letzten Jahrzehnten immer wieder gegeben. Nun zeichnet sich in Großbritannien und den USA eine regelrechte Welle solcher Experimente ab. Es schließen sich dort immer mehr Städte zu Netzwerken zusammen, die an der Durchführung von Grundeinkommensexperimenten Interesse zeigen.

Beispiel USA

Michael D. Tubbs, bis vor Kurzem noch Bürgermeister von Stockton im US-Bundesstaat Kalifornien, hat in den letzten Jahren in seinem Ort ein kleinformatiges Grundeinkommensexperiment durchführen lassen und dies als Plattform genutzt, um für den Reformansatz überregional zu werben.

Im Jahr 2020 hat er die landesweite Initiative „Mayors for a Guaranteed income“ ins Leben gerufen, der sich zum Zeitpunkt der Abfassung dieses kurzen Artikels schon 33 Bürgermeister bekannter Städte angeschlossen hatten, darunter die von Oakland, Los Angeles, Seattle, Madison, Gary, Santa Fe, San Antonio, Jackson, New Orleans, Atlanta, Columbia, Cambridge, Providence, Newark, Philadelphia, Richmond, Pittsburgh.

Die Initiative plant mit Unterstützung wissenschaftlicher Forschungsinstitutionen wie dem „Economic Security Project“ die Durchführung verschiedener Pilotprojekte in Städten der USA. Anfang Dezember 2020 wurde bekannt, dass der Multi-Milliardär, Gründer und CEO von Twitter und Square, Jack Dorsey, der Initiative 15 Millionen Dollar gespendet hat. Der ehemalige Präsidentschaftsbewerber Andrew Yang, der beim Nominierungswahlkampf der demokratischen Präsidentschaftsbewerber vor allem für das bedingungslose Grundeinkommen geworben hatte, kandidiert nun für das Bürgermeisteramt in New York. Umfragen geben ihm gute Chancen, gewählt zu werden. Es könnte also sein, dass demnächst auch New York der Städte-Initiative beitritt und mit Andrew Yang ein mittlerweile landesweit bekanntes, prominentes Mitglied erhält. Elf kommunale Pilotstudien sollen bereits 2021 beginnen, weitere sind in Planung:

>>https://basicincometoday.com/2021-will-be-the-year-of-guaranteed-income-experiments/

>>Aktuelle Twitter-Beiträge im Profil von „Mayors for a Guaranteed Income“

Beispiel Großbritannien

Aber auch in Großbritannien sprechen sich immer mehr städtische Ratsversammlungen für die Durchführung von Pilotstudien zum Grundeinkommen aus. Das Bürger-Netzwerk UBI-Lab verzeichnet derzeit 20 Städte, deren Ratsversammlung eine entsprechende Resolution verabschiedet haben, darunter: Liverpool, Sheffield, Hull, Belfast, Norwich, Leeds, Brighton, Glasgow, York, Portsmouth, Oxford, Swansea, Islington, Rhondda, Stroud.

Sollte es die britische Labour-Party schaffen, wieder an die Regierung des Landes zu kommen, könnte in Liverpool und Sheffield ein größeres Grundeinkommensexperiment bevorstehen, auf das sich beide Städte derzeit schon vorbereiten. Labour hat nach dem Scheitern von Jeremy Corbyn ein neues Manifesto verabschiedet, in dem es sich entsprechend positioniert.

Dringt die Grundeinkommensidee über die kommunale Ebene in die gestaltenden Regierungspolitik ein?

Interessant an dieser Entwicklung ist aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, dass die Grundeinkommensdebatte offensichtlich ein neues Stadium erreicht, indem die Idee über die Kommunalpolitik graswurzelartig in die politische Gestaltungsebene auf breiter Front vorzudringen scheint.

Die Graswurzellogik zeichnet die Grundeinkommensdebatte grundsätzlich schon länger aus. Jahr für Jahr war zu beobachten, wie sie den etablierten, sozusagen offiziellen Politik- und Medienbetrieb, der von einem Mehrheitskonsens-orientierten, Macht-opportunistischen Establishment dominiert wurde, welcher von der Idee daher auch lange nichts wissen wollte, immer weiter „unterspült“ hat. Mittlerweile bröckelt angesichts der erreichten Breite der Diskussion unter den Bürgerinnen und Bürgern die in diesem Establishment lange Jahre anzutreffende, beinah geschlossene Abwehrfront immer mehr. Und mit der parteiübergreifenden Bewegung auf kommunaler Ebene beginnt nun anscheinend auch ein Stadium, in dem die Idee in der Breite in die politische Gestaltungsebene Einzug zu halten beginnt, und zwar graswurzelartig von unten, weil dort die größere Bürgernähe herrscht und der Pluralismus ausgeprägter ist. Vermutlich ist es nur eine Frage der Zeit, dass sich ähnliches auch in Deutschland ereignet, wo sich mit der Initiative Expedition Grundeinkommen auch schon erste Ansätze in dieser Richtung zeigen.

Ein kontrastiver Blick zurück in die Zeit der 1960er-Jahre in den USA

Aufschlussreich ist auch der historische Vergleich. In den 1960er-Jahren wurde die Idee eines „garantierten Grundeinkommens“, wie man es damals nannte, in den USA weltweit erstmals zum Gegenstand einer breiteren gesellschaftlichen Debatte. Der den Konservativen nahestehende Ökonom Milton Friedman schlug mit seiner Negativen Einkommensteuer eine Grundeinkommensvariante vor , aber ebenso der Fürsprecher der progressiven Bürgerrechtsbewegung Martin Luther King Jr., auf den sich der oben genannte Michael D. Tubbs bezieht . Der linksliberale Intellektuelle und Ökonom Robert Theobald, dem als Sohn eines britischen Geschäftsmanns und als Absolvent der Cambridge-University die für die Grundeinkommensidee so wichtige, aber in den USA kaum noch präsente britische Gentlemen-Kultur vertraut war, propagierte es auf eine besonders radikale und weitreichende Weise , ganz im Sinne einer „Demokratisierung der Muße“ – wie ich das formulieren würde .

Ab dem Ende der 1960er-Jahre, vor allem dann in den 1970er-Jahren, fand vor diesem Hintergrund auch die bis heute größte und längste Serie von Grundeinkommensexperimenten statt, mit Laufzeiten und Empfängerzahlen, von denen das „Pilotprojekt Grundeinkommen“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung nur träumen könnte . Schon die demokratischen US-Regierungen unter Kennedy und Johnson setzten sich mit der Grundeinkommensidee auseinander, und die konservative Nixon-Regierung begann schließlich ab 1969 mit der Implementation eines Konzepts nach dem Vorbild von Milton Friedman. Jedoch scheiterte der Prozess auf halbem Wege im Senat , letztendlich wohl vor allem deswegen, weil die Bevölkerung damals noch fest in der klassischen Arbeitsethik verankert war. Die Grundeinkommensdebatte der 1960er-Jahre war im großen Gegensatz zu der Bürger-Diskussion heute nur die Debatte einer Fortschritts-optimistischen, gemeinwohlorientierten Elite aus Intellektuellen, Ökonomen, Aktivisten, Politikern, Fachleuten, usw.

Robert Theobald hat angesichts der wenig zufriedenstellenden Form, in der Richard Nixon die Idee unter dem Einfluss sich äußernder Widerstände defensiv „weiterentwickelte“ damals schon klar gesehen, dass es bei der gesellschaftlichen Verwirklichung in einer Demokratie am Ende vor allem auf die Mehrheit in den Köpfen der Menschen ankommt. Dementsprechend hat er vor allem versucht, durch Beiträge in der Öffentlichkeit darin Diskussionen medial zu entfachen, die einen Wandel des Denkens Aller einleiten.

Hören Sie dazu ein Radio-Interview mit Robert Theobald aus dem Jahr 1968: https://studsterkel.wfmt.com/programs/interview-robert-theobald

Verkehrung ins Gegenteil in der 1980er-Debatte

Ab den 1980er-Jahren hat sich die Situation allmählich ins Gegenteil verkehrt. Das politisch-mediale Establishment erkannte zunehmend, dass es ohne die Mehrheit des Volkssouveräns so weitreichende Reformansätze nicht verwirklichen konnte. Es hat die Grundeinkommensidee aber auch nicht wie Robert Theobald aus diesem Grund offensiv öffentlich vertreten und beworben, sondern sie vielmehr überwiegend opportunistisch aufgegeben, um sich fortan mehrheitskonsens-orientiert an Konzepten im Rahmen des traditionellen Verständnisses einer „Arbeitsgesellschaft“ zu halten. Viele Sozialwissenschaftler haben sich der Illusion hingegeben, hinter der Bühne als Politik-beratender Einflüsterer der Macht vielleicht einen größeren Einfluss auf die Gesellschaft zu bekommen als über das Medium der Öffentlichkeit. Heute, da die Grundeinkommensdebatte zu einer breiten Diskussion unter Bürgern geworden ist und von unten in den etablierten Politik- und Medienbetrieb einzudringen beginnt, ist im Unterschied zu den 1960er-Jahren in den USA tendenziell auch die Voraussetzung dafür gegeben, das Grundeinkommen tatsächlich implementieren zu können.

Dass sich selbst rechtspopulistische Kreise wie die AfD oder in den USA die Trump-Anhängerschaft der Grundeinkommensidee gegenüber in der Zwischenzeit zum Teil aufgeschlossen zeigen, kann man natürlich leicht zu Diffamierungszwecken benutzen, wenn man möchte. Aber es spricht in meinen Augen viel mehr dafür, dass die Grundeinkommensidee tatsächlich auf konstruktive Weise einen Bedarf trifft, dessen bisher mangelhafte Befriedigung gerade zu Ressentiment geleiteten, rechtspopulistischen Ausdrucksformen beigetragen hat. Insofern erscheint das bedingungslose Grundeinkommen auch als einer der wenigen konstruktiven Lösungsvorschläge, um unter anderem auch jenen Bevölkerungsteil wieder gesellschaftlich zu integrieren, der sich derzeit aufgrund eines durchaus realen lebenspraktischen Problemdrucks, aus einer diesbezüglichen Überforderung und eines gesellschaftlichen Diskurses, der diesen Problemdruck zu wenig gerecht geworden ist, sodass man diesem gegenüber Establishment-kritische Ressentiments aufgebaut hat, für die destruktiven Politikangebote von Rechtspopulisten empfänglich zeigt .

Die tatsächliche Implementation eines BGEs ist allerdings wiederum nicht ohne die Unterstützung der Mehrheit des etablierten Politik- und Medienbetriebes vorstellbar, der sich derzeit aber aller erst der Grundeinkommensidee zu öffnen beginnt.

Zitierte Literatur:

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

1 + fünf =

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.